Viani / Olio Roi - Sophia Schillik
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Viani / Olio Roi

Vom Olivenölbauern, der keine Oliven aß

 

Es ist ein Freitag Anfang Dezember, 13 Uhr, „pausa di pranzo“: Mittagsessenszeit. Entspannt sitzen wir an dem großen, rustikalen Holztisch im Bauch der Ölmühle Roi, vor uns einen großen Teller mit Fava-Bohnen, Oliven und Käse, dazu das zweite von zahlreichen Gläsern Franciacorta, den unser Gastgeber zu jeder Tageszeit einschenkt. Franco Boeri Roi ist ein Genießer, einer, der das Leben voll auskostet und seine Freunde immer herzlich willkommen heißt, auch wenn er selbst gerade alle Hände voll zu tun hat. Gerade täten ein paar mehr Handpaare durchaus Not, denn es ist Erntezeit in Badalucco, jenem kleinen Bergdorf im Hinterland von San Remo, in dem Franco und seine bezaubernde Frau Rosella zuhause sind. Hier, im Herzen von Ligurien, entsteht seit vielen Jahrzehnten eines der besten Olivenöle der Welt, von einer herrlichen Mildheit und Süße, die an reife Mandeln und buttrige Noten erinnert, gesegnet mit einem zarten, goldenen Schimmer, der typisch ist für die Olivenöle dieses Landstrichs.

 

Aber halt: Das Öl, dessenwegen wir gekommen sind, ist ja grün! Smaragdgrün, fluoreszierend grün, von einer faszinierenden Farbe jedenfalls, die man von Olivenöl so nicht kennt. „Olio Növu“ nennen die ligurischen Bauern es in ihrem Dialekt, das neue Öl. Es ist das erste seiner Art, das erste der diesjährigen Ernte, die bis Februar andauern wird, und für die Leute aus Badalucco und der umliegenden Dörfer ist es etwas ganz besonderes. Die meisten der Familien hier haben eigene Olivenbäume, die sie selbst kultivieren und pflegen, und wer etwas auf sich hält, bringt seine Oliven nach der Ernte zu Roi, in die „Frantoio Valle Argentina numero uno“. Francos und Rosellas Mühle ist die erste Adresse, nicht nur im Ortsverzeichnis.

Dass wir gerade zur turbulenten Hochsaison nach Badalucco gekommen sind, hat seine Gründe. Zum einen wollten wir die Boeri Rois – liebgewonnene Freunde, die sie sind – endlich einmal wieder sehen, zum anderen natürlich bei der Pressung des Olio Nuovo dabei sein. Ein solches Öl sieht und schmeckt man nicht alle Tage, es ist ein echtes Highlight zu beobachten, wie die leuchtend grüne, samtig glänzende Flüssigkeit direkt nach der Pressung in große Bottiche fließt. Man kann gar nicht anders, als immer wieder ein Stück Brot zu nehmen und unter den Strahl zu halten: Dieses frische, naturbelassene und aromenreiche Öl ist zu köstlich, um wahr zu sein! Ob wir davon wohl ein paar Flaschen mit nach Göttingen nehmen können? Wir denken laut. Franco lacht. Natürlich geht das. Vielleicht auch ein paar mehr. Wie wir das bewerkstelligen, darüber werden wir heute Abend beim Essen sprechen. Die ein oder andere Flasche Franciacorta hat Franco bereits kalt gestellt. Und ja, es wird Olio Nuovo geben.

 

Schon allein für die Spezialität der Gegend, stoccafisso, ist es unabdingbares Würzmittel. Zwischen zwei Gabeln erzählt uns Franco, wie der durch Trocknung haltbar gemachte Kabeljau über norwegische Seefahrer bereits im Mittelalter nach Badalucco kam und wie sein Großvater, ein großer Liebhaber dieses traditionellen Arme-Leute-Essens, jeden Sonntag eine Schnur um ein Stück Stockfisch zu wickeln pflegte. Das Objekt der Begierde wurde einfach aus dem Fenster direkt in den sich darunter befindenden Fluss geworfen, wo die beständige Wasserbewegung den stoccafisso bis zum Abendessen pfannenfertig werden ließ. Erst auf diese Weise, also sachgerecht gewässert, wird er schmackhaft, erklärt uns Franco halb ernst, halb schmunzelnd – so wie eben auch Oliven richtig verarbeitet werden müssen, damit ein gutes Öl entsteht. Francos Großvater war übrigens Ölmüller, nicht Stockfisch-Fischer.

Tatsächlich hat die Ölmüllerei eine jahrhundertealte Tradition im Dorf. Bis vor wenigen Jahrzehnten lebte ein Großteil der Bevölkerung von diesem Berufszweig. Von den einst 400 Ölmühlen sind heute allerdings gerade einmal eine Handvoll übrig geblieben. Eine davon ist die von Franco, der 54-Jährige führt sie in vierter Generation. Doch Franco ist mehr als nur als ein passionierter Olivenölproduzent. Er ist auch leidenschaftlicher Olivenbauer, mit eigenen Hainen, die er selbst bewirtschaftet und kontrolliert. Als er vor 27 Jahren in die Fußstapfen seines Vaters trat, war das ein Novum. Doch Franco setzte sich durch. „Nur wer die Olivenbäume kennt und ihre Pflege selbst in die Hand nimmt, weiß, wie daraus das bestmögliche Öl entstehen kann“, davon ist der abenteuerlustige Italiener mit dem Charaktergesicht überzeugt. Letztlich seien natürlich mehrere Faktoren ausschlaggebend für ein gutes Ergebnis: Das fachgerechte Zurückschneiden der Bäume, der optimale, den klimatischen Gegebenheiten angepasste Erntezeitpunkt, eine schonende Erntemethode, eine möglichst kurze Lagerzeit (maximal 24 Stunden) und natürlich die richtige Verarbeitung der Früchte.

 

Wie die vonstattengeht, dürfen wir am nächsten Tag beobachten. Zusammen mit Francos Leuten und den auf ihr Öl wartenden Olivenbauern stehen wir auf dem weitläufigen Platz vor der Mühle, eingekeilt zwischen farbigen Plastikkisten und schwer gefüllten Jutesäcken, vor uns die malerische Häuserkulisse von Badalucco. Die Luft ist erfüllt vom Rattern der Sortiermaschine, es riecht ölig, fruchtig und süß zugleich. Fasziniert sehen wir zu, wie binnen weniger Stunden jenes „Olio Növu“ entsteht, dass uns schon am Vortag so begeistert hat. Wie die typisch ligurischen Taggiasca-Oliven – grüne, unreife und schwarze, vollreife – zwischen Granitsteinen zermahlen werden, die so entstandene Paste auf Matten gestrichen wird und das Öl schließlich durch das Eigengewicht der Matten ohne Druck aus dem Olivenbrei rinnt. Erst danach wird das restliche Öl vorsichtig aus den Matten gedrückt, natürlich ohne die Temperatur von 27 °C zu überschreiten: Francos Öle sind allesamt – vom Carte Noire, dem eben beschriebenen Tropföl, über die speziellen Lagenöle bis hin zum Monocultivar– Olii extra vergini: kaltgepresste Olivenöle nativ extra.

 

Vor allem aber sind sie köstlich. Auch – und gerade jetzt – das unfiltrierte Olio Nuovo.  Fruchtig und mild schmeckt es, mit buttrigen Aromen und einer eleganten, fast schon sahnigen Frische. Einfach. Ehrlich. Unbeschreiblich echt. Dazwischen feine Kräuternoten und subtile Mandeltöne. Wir haben eindeutig die grüne Brille auf!

 

Am nächsten Tag sitzen wir ein letztes Mal gemeinsam zu Tisch, bevor wir uns von Badalucco und den Boeri Rois verabschieden müssen. Es gibt Tomatensalat, Penne mit Pesto Genovese und Antipasti aus der hauseigenen Feinkostlinie. Auch wenn wir in ein paar Minuten den Heimweg nach Göttingen antreten müssen, sind wir fröhlich gestimmt, bringen wir doch ein kleines, aber feines Kontingent Olio Nuovo und ein paar wunderbare Geschichten mit nach Deutschland. Zum Beispiel diese hier: Als wir Franco die Schale mit den eingelegten Taggiasca-Oliven reichen, winkt er ab. Er möge doch keine Oliven, erinnert er uns lächelnd. Und wir nicken, verstehen – und essen sie selbst.

 

Man muss schließlich keine Oliven mögen, um zu wissen, wie daraus das bestmögliche Öl entsteht.

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Bild, Text, Travel